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Missachtung von Menschenrechten an der Grenze

Zahlreiche Berichte der vergangenen Jahre zeigen auf: Frontex wirkt direkt und indirekt an schweren Menschenrechtsverletzungen mit. Für das Leben und die Rechte von Menschen auf der Flucht scheint die Agentur und ihr Direktor Fabrice Leggeri nicht viel übrig zu haben.

In den vergangenen Jahren wurde wiederholt aufgezeichnet, wie an den EU-Aussengrenzen Menschenrechte unter den Augen von Frontex verletzt werden. Dabei geht es oft um sogenannte «Pushbacks», also um die illegale Zurückweisung von Geflüchteten an der Grenze, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, ein Asylgesuch zu stellen. Dadurch wird nicht nur das Grundrecht auf ein Asylgesuch verletzt, sondern häufig auch das Non-refoulement-Prinzip. Dieses verbietet die Rückschaffung von Menschen an Orte, wo ihnen Folter oder andere Menschenrechtsverletzungen drohen. Die dafür nötigen Abklärungen werden bei Pushbacks schlicht übergangen.

Verstösse in unterschiedlichen Gebieten

Frontex verhielt sich bei Pushbacks wiederholt passiv, um nicht zu sagen komplizenhaft. So wurden an der serbisch-ungarischen Grenze tausende Menschen ohne rechtmässiges Verfahren abgeschoben. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verurteilte Ungarn wegen seines Umgangs mit Menschen auf der Flucht. Frontex war in dieser Region während dieser Zeit operativ tätig und liess das ungarische Gewaltregime unkommentiert. Erst nach dem EuGH-Urteil zog sich die EU-Grenzschutzagentur im Januar 2021 aus Ungarn zurück. Für die flüchtenden Menschen und gegen die illegalen Abschiebungen Ungarns hat sie sich nicht eingesetzt.

Ein ähnliches Bild bietet sich in Griechenland, wo griechische Grenzbeamt:innen regelmässig geflüchtete Menschen auf dem Ägäischen Meer aussetzt. Sie zerstören ihre Boote und lassen sie ohne Motor oder in schwimmenden Rettungsinseln auf dem Meer treiben. Der Plan ist klar: Sie sollen zurück in die Türkei, ohne Verfahren, kollektiv zurückgedrängt. Im Jahr 2020 wurde nun bekannt, dass in mindestens sechs dieser Pushbacks Frontex –Schiffe vor Ort waren.

Laut anderen Berichten waren Frontex-Beamt:innen auch direkt involviert bei weiteren Aktionen. So wurde 2016 eine syrische Familie nach der gefährlichen Überfahrt mit dem Boot von der Türkei nach Griechenland innerhalb weniger Tage wieder zurück in die Türkei überstellt – wohlbemerkt ohne Asylverfahren – eskortiert von Frontex-Beamt:innen. Auch zu diesem Fall ist eine Klage vor dem Europäischen Gerichshof (EuGH) hängig.

Nichts übrig für Grundrechte

Die Beweislast für diese und ähnliche Vorfälle führte dazu, dass das EU-Parlament eine Untersuchung einleitete. Der Untersuchungsbericht hält fest, dass Frontex in mehreren Fällen von Grundrechtsverletzungen wusste, und zwar in Gebieten, wo sich auch Frontex an der Grenzkontrolle beteiligte. Die Agentur habe jedoch weder diese Vorfälle verhindert noch versucht, zukünftige Grundrechtsverletzungen zu unterbinden. Der Bericht bemerkte ausserdem, dass Frontex weder auf externe noch interne Berichte zu Menschenrechtsverletzungen adäquat eingegangen ist – das Meldesystem der sogenannten Serious Incident Reports, das eigentlich ein Tool für die Meldung von Menschenrechtsverletzungen ist, funktioniert überhaupt nicht.

Zur Verletzung von völkerrechtlichen Verpflichtungen kommen die unzähligen physischen und psychischen Gewaltanwendungen von Grenzbeamt:innen gegenüber Migrant:innen, die sehr häufig mit Pushbacks einhergehen. Mit Schusswaffen, Schlagstöcken, Kampfhunden, Schallkanonen und Wasserwerfern werden Menschen auf der Flucht angegriffen. Sie werden ausgeraubt, gefoltert, ausgesetzt und getötet. Wer hier Potenzial für eine entschiedene Einflussnahme einer europäischen Grenzschutzagentur im Interesse der «europäischen Werte» sieht, bleibt jedoch enttäuscht.

Als Fabrice Leggeri, der Executive Director von Frontex, im Oktober die Grenze zwischen Belarus und Polen besuchte, zeigte er sich positiv beeindruckt über die Mittel, die zur «Grenzsicherung» eingesetzt werden. Er lobte die Zusammenarbeit zwischen Frontex und Polen seit Beginn der «Krise». Zu den tausenden von Menschen, die an ebendieser Grenze unter unmenschlichen Bedingungen blockiert waren, verlor er indes kein Wort. Wenige Wochen später kündigte Frontex an, sich an der Abschiebung von von 1700 irakischen Geflüchteten aus derselben Grenzregion beteiligen zu wollen.

Ein Blick auf die vergangenen Monate zeigt, dass Frontex sich unter entsprechendem öffentlichen Druck von allzu offensichtlich-gewalttätigen Aktionen bestimmter nationaler Grenzbehörden distanziert. Aber als operativer Arm der europäischen Abschottungspolitik trägt Frontex direkt und indirekt dazu bei, dass Menschen abgeschreckt und zurückgewiesen werden. Die damit einhergehende Gewalt wird in Kauf genommen – oder abdelegiert, wie nicht zuletzt die anhaltenden Kollaboration zwischen Frontex und der sogenannt libyschen «Küstenwache» zeigt.


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