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Argumente

Was ist Frontex?

Die Haupt-Aktivitäten der Frontex sind:

  • Rückführungen von «irregulären Migrant:innen» (dabei: direkte und indirekte Verwicklung in illegale Pushbacks)
  • Planung und Durchführung von Ausschaffungen in der gesamten EU
  • Aufrüstung lokaler Grenzschutzbehörden und Ausstattung mit wichtigem Know-how (speziell im Bereich der Überwachung über die Angleichung an europäische Standards und Systeme)
  • Verfassen von sogenannten «Risikoanalysen» samt Handlungsempfehlungen (wie bspw. Grenzkontrollen verstärken, Einsätze von Frontex ausweiten oder Ressourcen der Agentur aufstocken)

Zur Ausführung dieser Aktivitäten ist die Frontex nicht nur direkt an den EU-Aussengrenzen sowie innerhalb der europäischen Länder im Einsatz, sondern über die konstant erhöhte Auslagerung des EU-Migrationsregimes auch in immer mehr Drittstaaten. Sie arbeitet aktiv mit über 20 Ländern ausserhalb der EU zusammen. Dabei kooperiert die Frontex beispielsweise mit der libyschen Küstenwache, welche migrantische Boote abfängt und gewaltsam zurück nach Libyen schleppt, wo Migrant:innen unter massiv gewaltvollen Bedingungen festgehalten werden. Sie unterstützt aktiv die Ausweitung der Luftüberwachung im Mittelmeer, während gleichzeitig die offiziellen Rettungsmissionen immer weiter reduziert werden. Die Aktivitäten der Frontex fördern das rassistische Narrativ von Migration als Bedrohung, wobei besonders die Risikoanalysen als Eigenlegitimation zur immer weiteren Aufstockung der Frontex benutzt werden. Die Abschottungspolitik der EU kostete seit 1993 über 44’000 Tote, die Dunkelziffer eingerechnet sind es viele mehr.

Verbindungen der Frontex zur Schweiz

Die Schweiz unterstützt die Frontex als Schengen-Mitglied seit 2009 finanziell und personell. Nun hat der Nationalrat einem jährlichen Budget von 61 Millionen Franken bis 2027 zugestimmt. Dies macht im Gesamtbudget der Frontex ca. 5% aus, womit die Schweiz beträchtlich zum gewaltvollen Abschottungsregime der EU beiträgt. Die Schweiz kann dabei als Schengen-Staat ausschliesslich mitreden, hat jedoch kein Stimmrecht bei der Planung neuer Kompetenzen und Gesetze.

Die Schweiz profitiert dabei stark von der gewaltvollen europäischen Migrationsabwehr, denn sie ist als Heimathafen für Rohstofffirmen, internationaler Bankenplatz und Waffenfabrik eine wichtige Profiteurin im kapitalistischen Weltsystem. Und sie ist damit Mitverursacherin vieler Fluchtursachen.

Unsere Forderungen

➊ NEIN zur Finanzierung und personellen Unterstützung von Frontex durch die Schweiz!
➋ JA zur Bewegungsfreiheit für alle!
➌ Abschaffung der Frontex als Symbol der abschottenden gewaltvollen europäischen Migrationspolitik!
➍ Stopp der Kriminalisierung von Migration nach Europa und der damit verbundenen Militarisierung der Grenzen!
➎ Sichere Migration ermöglichen anstatt gewaltvoll verhindern!

(1) Korrigendum: In einer früheren Version dieses Textes wurde des Gesamtbudget mit 11 Milliarden beziffert. Diese Zahl basierte auf den damals zur Verfügung stehenden Informationen. Gemäss neusten Zahlen ist der Budgetrahmen auf 5,6 Milliarden angepasst worden. Siehe aktuelles Factsheet zum EU-Budget 2021-2027.

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Häufig gestellte Fragen

Was ist das Problem an Frontex?

Anstatt für dringend nötige sichere Fluchtwege zu sorgen, führt Frontex einen regelrechten Krieg gegen Migration – während weiterhin tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken. Fast 24’000 Menschen sind seit 2014 auf dem Weg nach Europa gestorben, vor den Augen der bestens ausgerüsteten Agentur und ihrer Einsatztruppen – und das sind nur die offiziellen Zahlen und nur jene, die der Region «Mittelmeer» zugeordnet werden. Und das obwohl Frontex die Schengen-Aussengrenze immer umfassender im Bild hat: 147 Millionen investierte sie in die Luftüberwachung (Frontex Aerial Surveillance Service – FASS) und analysiert grenzüberschreitende Bewegungen in seinem Hauptquartier in Echtzeit.

Die Agentur arbeitet zudem aktiv mit über 20 Ländern ausserhalb der EU zusammen. Dabei kooperiert Frontex beispielsweise mit der sogenannten libyschen Küstenwache, welche migrantische Boote abfängt und gewaltsam zurück nach Libyen schleppt, wo Migrant:innen unter gewaltvollen Bedingungen festgehalten werden. Sie unterstützt aktiv die Ausweitung der Luftüberwachung im Mittelmeer, während gleichzeitig die offiziellen Rettungsmissionen immer weiter reduziert werden.

Und zahlreiche Berichte der letzten Monate zeigen zudem Beteiligungen von Frontex-Beamt:innen an Pushbacks in der Ägäis und krasse Lücken in den Grundrechtsmechanismen und Reportingsystemen. Diese funktionieren nicht und seien lediglich Feigenblätter – sie führen weder zu verbindlichen Rechenschaftspflichten noch zu einer effektiven Kontrolle der Arbeit an den Grenzen.

Gefährdet das Anliegen des Referendums nicht die Schengen-Mitgliedschaft der Schweiz?

Mittlerweile hat Bundesrätin Keller-Suter den Abstimmungskampf mit der Drohkulisse eines Schengen-Austritts begonnen – sie verschweigt dabei, dass es unterschiedliche Szenarien für das «Wie-Weiter nach einem NEIN zum Frontex-Ausbau» gibt.

Zwar kennt das Schengener Vertragswerk tatsächlich eine strenge Austrittsklausel, die greift, sollte die Schweiz Weiterentwicklungen des sogenannten Schengen-Bestitzstandes nicht übernehmen. Dennoch heisst ein NEIN zum Frontex-Ausbau nicht automatisch das Ende der Zusammenarbeit der Schweiz mit Schengen, denn ein Austritt aus Schengen ist auch dann nicht unausweichlich, wenn das Referendum zustande kommt. Vielmehr bestehen politische Verhandlungsmöglichkeiten, um die Fortsetzung der Zusammenarbeit zu klären. Übereinstimmend mit öffentlichen Statements in diese Richtung bestätigten etliche von uns befragte Expert:innen die Ansicht, der Austritt sei verhandelbar. Ähnliches schrieb bereits Professor für Europa- und Völkerrecht, Rainer J. Schweizer.

Die Schengen-Verträge sind die Basis für die Personenfreizügigkeit, welche die Bewegungsfreiheit im Binnenraum schafft. Die Kehrseite dieser Personenfreizügigkeit, die sehr stark von ökonomischen Überlegungen geprägt ist, ist der gesteigerte «Schutz» der Schengen-Aussengrenzen und damit die immer vehementer umgesetzte Abschottungspolitik sowie das Streben nach absoluter Mobilitätskontrolle. Mit dieser Aussengrenze schaffen die EU- und Schengen-Staaten eine neokoloniale Mauer, die sowohl legale Migration aus Drittstaaten zunehmend unmöglich macht und legale Fluchtrouten fast komplett versperrt.

Für uns ist klar: die Personenfreizügigkeit wird durch diese Abstimmung nicht berührt – wir fordern eine Ausweitung der Bewegungsfreiheit. Die innereuropäische Bewegungsfreiheit ist eine Errungenschaft. Höchste Zeit, dass sie nicht nur für Menschen im Schengenraum, sondern für alle gilt.

Dabei ist ganz grundsätzlich zu berücksichtigen, dass die derzeitige EU-Migrationspolitik auf Militarisierung, einem Netz aus Lagern und brutaler Grenzgewalt aufbaut. Frontex übernimmt in dieser Politik eine wichtige Funktion. Kein Vertrag rechtfertigt es, dieses Regime mitzutragen. Dass die Schweiz an dieser Militäroperation unter dem Deckmantel des Grenzschutzes mitwirkt, ist untragbar. Es ist an der Zeit mit einem NEIN zum Frontex-Ausbau ein deutliches Signal gegen diese gewaltvolle Migrationspolitik zu setzen.

Aber das Referendum schafft Frontex ja nicht ab und unternimmt auch nichts gegen die bestehende Grenzgewalt?

Wir verstehen das Referendum und die kommende Abstimmung als Teil von unterschiedlichem und vielfältigem Widerstand gegen die gewaltvolle EU-Migrationspolitik. Die Abstimmung allein wird Frontex nicht abschaffen und Grenzgewalt nicht aufheben. Indem wir Frontex das Geld entziehen, können wir aber einen wichtigen Hebel ansetzen. Zudem ist diese Abstimmung das erste Mal, dass das EU-Migrationsregime durch Frontex in Europa auf diese Weise in der Öffentlichkeit verhandelt wird. Das ist eine grosse Chance, um als Teil von vielseitigem Widerstand und solidarischen Netzwerken die gemeinsamen Forderungen – Nein zu Frontex, Ja zu Bewegungsfreiheit – zu stärken.

Gerade im Kontext Schweiz ist das wichtig, denn die Schweiz versteckt sich gerne hinter seinem Status als Binnenland – Diskussionen rund um Frontex und die EU-Abschottungspolitik sind hier im öffentlichen Diskurs stark untervertreten. Dank dem Referendum wird nun mehrere Monate intensiv darüber gesprochen, was an den EU-Aussengrenzen passiert, was die Schweiz damit zu tun hat und schlussendlich auch über die Frage abgestimmt, wie sich die stimmberechtigten Menschen in der Schweiz dazu verhalten wollen. Nebst der Abstimmung, die auf eine politisch-institutionelle Ebene begrenzt ist, erhoffen wir uns, dass möglichst viele gesellschaftliche Akteur:innen aktiv werden, wir unsere Vernetzung stärken können und die antirassistische Bewegung gestärkt aus dem NoFrontex-Referendum und der Abstimmung hervorgeht. 

Was sind denn die Alternativen zu Frontex?

Wir sind überzeugt: eine solidarische Migrationspolitik ist möglich. Bereits jetzt wird viel unternommen: Migrant:innen setzen sich täglich über die Abschottungspolitik hinweg, zivile Seenotrettung setzt sich dem Sterbenlassen auf dem Mittelmeer entgegen, solidarische Städte organisieren sich, vehemente Communities leisten Widerstand. Die Verantwortung aber liegt im Herzen Europas, in Brüssel sowie in Bern. Und genau dafür liefert das Referendum ein konkretes Druckmittel: die Finanzierung. Denn die Rechnung ist einfach: ohne Geld keine Frontex.

Wie die Kampagne Defund-Frontex vorrechnet, hat Frontex seit 2015 weit über 100 Millionen in die Luftüberwachung investiert, aber 0 Euro für Marinefahrzeuge, mit denen Leben gerettet werden können. Die Kampagne rechnet weiter: Wenn lediglich ein Drittel des derzeitigen Frontex-Budgets umgenutzt würde, könnte ein eigenes europäisches Seenotrettungsprogramm ins Leben gerufen werden, inklusive eigener Flotte. Das wäre eine von vielen Alternativen. 

Welche Migrationspolitik fordert ihr?

Erstens plädieren wir für die Konzeption von legalen und sicheren Flucht- und Migrationswegen.

Zweitens braucht es ein Neudenken und eine neue Praxis im Umgang mit Migration: Migration ist keine Bedrohung, sondern eine Tatsache.

Drittens braucht es eine andere Perspektive auf Migrant:innen. Der Bürgermeister von Palermo hat dies treffend auf den Punkt gebracht: «Diejenigen, die in Palermo leben und Bürger:innen von Palermo sind, leben nach dem Grundsatz, dass die Heimat dort ist, wo man seine Füsse hinsetzt. Ich mache als Bürgermeister keinen Unterschied zwischen denen, die in Palermo geboren sind, und denen, die in Palermo leben.» Die Menschen, die hier leben gestalten das Hier und Jetzt. Es gilt, gemeinsam für gleiche Rechte zu kämpfen und darauf hinzuwirken, dass alle ihr eigenes Leben und das Leben der Gesellschaft (mit-)gestalten können. Im aktuellen politischen Diskurs werden migrantische Personen auf dem Weg nach Europa immer stärker kriminalisiert – auch durch die Risikoanalysen von Frontex. Diese Kriminalisierung wird über Gesetze geregelt, womit rassistische Ungleichbehandlung als legal betrachtet und dadurch legitimiert wird. Migrantische Personen werden dadurch immer stärker strafrechtlich verfolgt. Das zeigt beispielsweise die Situation in Griechenland, wo geflüchtete Personen systematisch als Schlepper:innen angeklagt werden und ihnen hohe Freiheitsstrafen drohen. Es braucht dringend eine Entkriminalisierung migrantischer Personen.

Viertens müssen, um globale strukturelle Ungleichheiten zu bekämpfen, besonders die heutigen Grenzen und ihre Auswirkungen in Frage gestellt werden. Für globale Probleme wie die Klimaerwärmung, Umweltkatastrophen, die Pandemie oder soziale Ungerechtigkeit braucht es globale Lösungen, nicht nationalistische. Die Abschottung Europas – für deren Durchsetzung Frontex eine zentrale Rolle spielt – ist keine Lösung dafür, sondern eine rassistische und imperiale Antwort. So werden im jetzigen System unter dem Vorwand von Sicherheit für die einen, andere Menschen gefährdet. Was es dringend braucht, sind Lösungen, die auf globaler Solidarität basieren.

In einer Migrationspolitik, die Prinzipien wie Menschenwürde und Bewegungsfreiheit zentriert, würde auch eine Agentur Platz haben, die sich um den Empfang und die Unterstützung von geflüchteten Menschen kümmert. Mit mehreren Milliarden Budget sowie 10’000 Menschen im Einsatz für Geflüchtete und Migrant:innen wäre so einiges möglich.

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