Zum Inhalt springen

Dieses Ja baut Mauern. Dieses Ja ist rassistisch

Mit dem heutigen Abstimmungsergebnis macht sich die Schweiz mitschuldig am Tod von und der Gewalt gegen zehntausende Menschen. Das ist eine grosse Enttäuschung! Doch vergessen wir nicht: Widerstand gegen das tödliche Migrationsregime gab es bereits vor dem Referendum und wird es auch weiterhin geben. Als Teil davon wird sich auch NoFrontex weiterhin gegen Frontex und für Bewegungsfreiheit einsetzen. Die Schweizer Stimmbevölkerung fragen wir: Wie könnt ihr angesichts der Gewalt und des Elends an den Schengen-Aussengrenzen dieses Ja zum Frontex-Ausbau verantworten?

Vom NoFrontex Referendumskomitee

Das NoFrontex Referendum hat aufgezeigt, wie die Schweiz Frontex mitfinanziert und mitverwaltet. Es rückte die Verantwortung der Schweiz für Gewalt, Elend und Sterbenlassen an den Aussengrenzen des Schengenraums ins öffentliche Bewusstsein. Die Enthüllungen der letzten Wochen unterstrichen, was schon lange im Raum steht: Frontex rettet nicht, sondern ist mitschuldig an Gewalt an den europäischen Aussengrenzen. Frontex hat im Mittelmeer keine Seenotrettungsschiffe, sondern beobachtet aus der Luft, wie Menschen ertrinken. Systematisch informiert Frontex die sogenannte libysche Küstenwache über Boote die von Libyen aus in Richtung Italien fahren. Diese fängt Geflüchtete ab und schafft sie gewaltsam zurück nach Libyen. Ein ähnliches Bild bietet sich in der Ägäis: Frontex versorgt die griechischen Kommandos mit Informationen über Grenzübertritte, die diesen dazu dienen, ihr gewaltvolles Pushback Regime duchzsetzen. Frontex ist das Rückgrat dieser Politik – die Agentur stärkt keine Menschenrechte, sondern betrachtet Migrant:innen als Bedrohung und führt einen regelrechten Krieg gegen Migration. Als Frontex-Mitglied ist auch die Schweiz mitschuldig.

Ein Referendum von unten

Weil weder die grossen Parteien noch die grossen migrationspolitischen/menschenrechtlichen Organisationen sich gegen den Frontex-Ausbau wehrten, entstand ein Referendum von Unten. Es waren Aktivist:innen und Basisorganisationen rund um das Migrant Solidarity Network, die das Referendum ergriffen und bis zuletzt getragen haben – viele davon sind von der Abstimmung selbst ausgeschlossen. Sie haben als ausserparlamentarische, antirassistische Bewegung das Referendum, in einem aussergewöhnlichen Schlussspurt, erst möglich gemacht und die letzten drei Monate in den politischen Diskurs interveniert: zahlreiche Veranstaltungen, Demonstrationen und andere Aktionen fanden statt. Europäische Unterstützer:innen besuchten die Schweiz und lokal wie überregional stärkten sich widerständige Vernetzungen.

Rückblick: Skandal um Skandal rund um die europäische Grenzagentur

In der Zeit zwischen Referendumsübergabe und Abstimmungssonntag vergingen kaum zwei Wochen, ohne das ein neuer Skandal zu Frontex publik wurde: Verschiedene Medienrecherchen beweisen, dass Frontex systematisch in Pushbacks involviert ist und diese bewusst verdeckt. Es häufen sich juristische Klagen gegen Frontex, das EU-Parlament stimmte gegen die Entlastung des Frontex-Haushaltes. Am 29. April trat Frontex-Chef Fabrice Leggeri zurück.

Gleichzeitig behaupten Befürworter:innen von Frontex nach wie vor, dass sich die Agentur verbessern lasse. Doch das ist Augenwischerei: davon zeugen nicht nur die systematischen Menschenrechtsverletzungen sondern auch ein Blick auf den geplanten Ausbau. Die aktuelle Reform hat die strukturellen Probleme, die Unkontrollierbarkeit von Frontex und deren Intransparenz zementiert und nicht verbessert.

Frontex spaltet die Welt und hierarchisiert Menschen

Die vom Ja-Lager geschürten Sorgen um nationale oder europäische Vorteile führen heute zum rassistischen Ergebnis, dass Frontex Ungleichheiten zwischen Nord und Süd mit Überwachung und Gewalt aufrecht erhalten will. Der Frontex-Ausbau schützt eine koloniale Weltordnung, welche Menschen von ausserhalb Europas gewaltsam diskriminiert und entrechtet.

Aktuelle Kriege, aber auch Klimawandel, Wirtschaftskrisen und die andauernde Pandemie erfordern globale Solidarität und eine nachhaltige Politik für alle. Migration lässt sich nicht mit militärischer Abschottung und Frontex kontrollieren – das haben die letzten 20 Jahre gezeigt. Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel: das System Frontex ist gescheitert. Stattdessen braucht es antirassistischen Dialog, antikolonialen Widerstand und solidarische Räume für Beziehungen auf Augenhöhe.

Der Widerstand geht weiter. Die migrantischen Stimmen müssen gehört werden.

Migration ist eine Tatsache, keine Bedrohung. Menschen werden weiterhin Länder verlassen und in Europa eine Perspektive suchen. Gleichzeitig geht auch der Kampf gegen das tödliche EU-Migrationsregime weiter. Die Vernetzung zahlreicher Basisgruppen und organisierter Kollektive in der gesamten Schweiz und darüber hinaus ist ein Gewinn. Globale und antikoloniale Perspektiven auf Migration wurden sichtbar und erhielten neuen Fahrtwind. NoFrontex lebt auf vielen Ebenen weiter: durch kritischen Austausch über Bewegungsfreiheit, gelebte Solidarität oder organisierten antirassitischen Widerstand.