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Kriminalisierung von Seenotrettung im Dienst der tödlichen Migrationsabwehr

Vom NoFrontex-Referendumskomitee. Eine Stellungnahme zum Artikel in der Sonntagszeitung vom 3.1.2021: Wenn Seenotretter mit Schleppern kooperieren

Am 3. Januar erschien in der Sonntagszeitung ein Artikel von Kurt Pelda und Ayoub Al Madani über die vermeintliche Kooperation von zivilen Seenotrettungsschiffen mit Schleppern im zentralen Mittelmeer. Die wahren Verbrecher:innen lassen der zukünftige Weltwoche-Schreiberling und sein Co-Autor gänzlich unerwähnt: die EU und ihre Migrationspolitik.

Denn es ist die systematische Abschottung der EU, die das Mittelmeer zum Massengrab und Libyen für Migrant:innen zum Gefängnis machen, nicht die Arbeit der zivilen Seenotrettungsmissionen. Es ist die systematische Zusammenarbeit mit den Milizen der sogenannten libyschen Küstenwache, die immer wieder zu vermeidbaren Schiffsunglücken mit hunderten Toten führt und alleine im Jahr 2021 laut offiziellen Zahlen 32’425 Menschen gewaltsam zurück nach Libyen gebracht hat. Zurück zu Gefängnis, Menschenhandel und systematischer Misshandlung. Das blenden Pelda und Al Madani aus, um mit fast 13’000 Zeichen gegen Seenotrettungsorganisationen zu hetzen und diesen Zusammenarbeit mit Schleppernetzwerken anzudichten. Ein Schelm, wer dahinter rechtspopulistische Motive vermutet? Wohl kaum!

Irreführende Einleitung

Bereits der Titel «Menschenhandel im Mittelmeer – Wenn Seenotretter mit Schleppern kooperieren» ist irreführend. Denn er suggeriert ohne aussagekräftige Beweislage, dass Seenotretter:innen systematisch mit Schlepperbanden kooperieren. Doch wie sich herrausstellt, ist dieses Narrativ ungefiltert von der italienischen Justiz übernommen worden – die beschuldigten Seenotrettungsorganisationen widersprechen dieser Darstellung klar. Auch die reisserische Behauptung, dass trotz der vielen Todesfälle im Mittelmeer Hilfsorganisationen «mit Menschenhändlern zusammenzuarbeiten», entspricht nicht der Wahrheit und verdreht die Tatsachen.

Die tödliche EU-Migrationspolitik

Es ist die tötliche Politik der EU, die Hilfsorganisationen erst nötig macht und den Markt für Schlepperei erst schafft. ​​​Denn die einzige offizielle Seenotrettungsmission Mare Nostrum wurde eingestellt, während gleichzeitig die Überwachung des Luftraums stetig ausgebaut wurde. Gleichzeitig baute die EU die sogenannte libysche Küstenwache auf. Diese ist verstrickt in Menschenhandel, betreibt menschenunwürdige Camps, führt Migrant:innen gewaltsam zurück und ist oft nicht zu erreichen, wenn Boote in Seenot geraten. Dann schauen europäische Staaten zu, wie Boote vor ihren Augen ertrinken – so wie es beispielsweise im April 2021 geschehen ist, als 130 Menschen starben. Dabei zeigt eine Studie der IOM, dass Seenotrettungseinsätze durch NGOs tödliche Überfahrten auf dem Meer verringern, ohne dabei Migration zu fördern.

Während im Artikel aus Einzelfällen eine vermeintliche Systematik aufgebaut wird, schweigen die Autoren über die systematische Kooperation zwischen der EU und den libyschen Milizen. Und auch über die systematische Kriminalisierung von Migrant:innen nach Ankunft in Europa sowie über weitere Folgen der Militarisierung und der Abschottung der EU-Aussengrenze verlieren sie kein Wort.

Die wahren Verbrechen

Der Artikel zeigt mit dem Finger auf zivile Seenotrettung um von den wahren Verbrecher:innen abzulenken: von der EU-Grenzschutzagentur Frontex, die die treibende Kraft hinter dieser Politik ist und in direktem Kontakt mit der libyschen Küstenwache steht, von den italienischen Behörden, die tausende Migrant:innen einsperren und gleichzeitig führende Menschenhändler an Konferenzen einladen und von den EU-Mitgliedstaaten, die diese Entwicklung gemeinsam ermöglichen.

Gegen diese tödliche Politik wehren sich zivile Seenotrettungsorganisationen und mit ihnen unzählige Unterstützer:innen verteilt in ganz Europa. Sie versuchen die Lücken zu füllen, die die EU-Migrationspolitik bewusst schafft. Das ist nicht nur angebracht, sondern in Zeiten, in denen sich das Sterbenlassen auf dem Mittelmeer normalisiert, eine unausweichliche Aufgabe einer organisierten Zivilgesellschaft. 

Auch in der Schweiz organisieren sich Zivilgesellschaft und migrantisch-solidarischen Basisorganisationen und wehren sich mit dem NoFrontex Referendum gegen diese tödliche Abschottungspolitik. Denn auch die Schweiz unterstützt dieses menschenverachtende System aktiv, indem sie die Grenzschutzagentur Frontex personell und finanziell mit Millionenbeträgen unterstützt. Es gilt, für solidarische Perspektiven Platz zu schaffen, anstatt Artikel wie jener von Pelda und Al Madani zu veröffentlichen. In dem die Autoren Hilfsorganisationen als kriminelle Akteur:innen portraitieren, stellen Pelda und Al Madani sich in den Dienst der tödlichen EU-Politik, ihrer Narrative und deren verheerenden Folgen.