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Frontex und die Gewalt an der albanisch-griechischen Grenze

Erfahrungsbericht von Zeug:innen und Betroffenen

Seit Juni 2019 ist die Frontex auch in Albanien stationiert. Albanien ist somit der erste Drittstaat, indem Frontex Operationen mit über 100 bewaffneten Beamt:innen und einer eigenen Infrastruktur durchführt. Was sich in Albanien abspielt, ist ein Beispiel dafür, wie die Schengenstaaten ihr Grenz- und Migrationsregime auslagern. Die folgenden Vorwürfe gegen die Frontex basieren auf Aussagen von People on the Move (PoM), die wir im Sommer 2021 in Albanien und Nordgriechenland interviewten. Ein ausführlicher Bericht steht kurz vor der Veröffentlichung.

In Albanien testet die EU die Externalisierung der Grenzkontrolle

Albanien ist ein Transit-Land für PoM auf der sogenannten Balkanroute. Die PoM erreichen Albanien von Griechenland aus, um entweder über den Seeweg nach Italien zu gelangen oder über den Landweg weitere Balkanstaaten Richtung EU zu durchqueren. Um die Festung Europa abzuschotten, sollen PoM so früh wie möglich blockiert werden. Die neue Schengenstrategie sieht vor, zu diesem Zweck verstärkt auch Drittstaaten einzuspannen. Diese Externalisierung wird in Albanien getestet, um sie in immer wie mehr Drittstaaten einzuführen. Die Abschottungspolitik der EU ist rassistisch und imperial. Sie basiert auf einem Weltverständnis, das Menschen des globalen Südens ausschliesst, um eine Festung zu errichten und erhalten, die auf der Ausbeutung anderer Staaten aufbaut.

Frontex beteiligt sich systematisch an gewaltvollen Pushbacks

Über die Interviews mit gepushbackten PoM auf der griechischen Seite der Grenze zu Albanien kristallisierte sich folgendes System heraus: Im albanischen Grenzgebiet spüren Frontex-Beamt:innen die PoM auf, die zu Fuss über die «grüne Grenze» nach Albanien einreisen. Anders als in Griechenland oder Kroatien werde diese Grenze noch nicht durchgehend von (Wärmebild-)Kameras, Drohnen- oder Helikopterflügen und GPS-Ortungssystemen überwacht. Zum Aufspüren der PoM seien bewaffnete Patroullien – ausgerüstet mit hochtechnologischen Ferngläsern und teilweise Hunden – im Einsatz, die genau wüssten wo und wie zubeissen. Bei Festnahmen käme es zu Demütigungen und Gewalt. Auch berichteten mehrere PoM, dass Frontex-Beamt:innen zur Einschüchterung mit ihren Pistolen in die Luft oder in den Boden schiessen. Dannach werde die albanische Grenzpolizei informiert, die die PoM mit Kastenwagen zu einem der beiden grenznahen Abschiebecamps – in Gjirokaster und Kapstice – fahre. Dort komme es häufig zu körperlicher und psychischer Gewalt – vorwiegend ausgeübt durch die Frontex-Beamt:innen und nicht durch die albanischen Polizist:innen. PoM berichten von Fusstritten, Faustschlägen, Schlägen mit Schlagstöcken, Stössen gegen die Wand, Demütigungen, Drohungen. Nach einem ungenügenden Schnellverfahren (Pre-Screening) würden die PoM als «illegal eingereiste Migrant:innen» klassifiziert und in der Regel von der albanischen Grenzpolizei an die griechische Grenze gestellt. Da es sich dabei um gewaltvolle Abschiebungen von ganzen Gruppen ohne faires Asylverfahren – also ohne Zugang zu Beratung, einer fairen Asylanhörung und echten Beschwerdemöglichkeiten – handelt, muss von Pushbacks ausgegangen werden.

Im Nicht-EU-Staat Albanien üben europäische Grenzpolizist:innen offensichtlich auch illegale Gewalt aus, um PoM in das EU-Land Griechenland abzuschieben. Griechenland scheint im europäischen Grenzregime als Abstellplatz für PoM zu dienen, um diese daran zu hindern, nach Westeuropa zu gelangen. Gewaltvolle Abschottung kann keine Lösung sein. Migration ist eine Realität. Durch die Gewalt auf dem Weg erleben sie psychische und körperliche Zermürbung. Dagegen braucht es dringend sichere Flucht- und Migrationsrouten. Bewegungsfreiheit ist nicht nur ein Recht für Europäer:innen, es ist ein Recht für alle.

Folgende Zitate und Erzählungen stammen aus Gesprächen mit PoM. Wir trafen sie in grenznahen Wälden, wo sie vorübergehend versteckt lebten. Meist sprachen wir mit ihnen am Abend desselben Tages, an dem sie die Gewalt erfuhren. Wir haben ihre Verletzungen gesehen.

Ablauf der systematischen Pushbacks

“We started at 3 o’clock last night. We were maybe 20 adults and one little girl. For a long way we didn’t meet any police. We already thought we were lucky. Suddenly at 11am twenty men in eight cars of Frontex and the Albanian Police caught me and all my friends. In two big cars they took all of us to the camp. One Albanian policemen was driving the car, one Frontex officer was sitting next to him. They brought us to the camp, where one police officer told us all to stand in a line. Some of the men were chosen and had to step forward. Then police beat these men in front of all of us. They also chose me and kicked me into my head when I was already lying on the ground. They threatened me, that they will do worse if they see me again. One person threw up because of too much pain. One lost a tooth. Some of the men did not stand up, maybe for one hour they did not stand up after.”

Warnschüsse

“Few days ago we tried to cross the border to Albania. It was my second try. We were a group of around 10 people, also families with children. Some kilometers after the border we got caught by a group of police. This time there were four German police, two French and one Albanian police. Without a warning they shot into the air with their pistols. They also shot into the ground next to us. Then two of the German police screamed to us: ‘Down, down.’ We had to lie on the ground and don’t move. Then the officers kicked all the men in the group with their feet. Only women and children they did not beat. One Frontex men – he was German – hit my head hard with his pistol. After all of this they brought us to a camp inside Albania. After few hours they drove us to the border and told us to go back to Greece.

Demütigungen und Drohungen

“It was seven days ago when I tried to cross the border to reach Albania. But Frontex officers caught me. They put me into handcuffs and brought me to the police station. Now is the third time they arrested me. Everytime they took my fingerprints. This time they threatened me and said : ‘If we will catch you one more time, we will put you in prison for the next year.’ Now really I am afraid to try again. You know, this time they kept me not in the camp, but in the police station next to it. One Frontex officer beat me with hand and foot. Then he said: ‘Fuck Palestine.’ Many times he said this. Why is he doing this? I am not a bad person. I am not a criminal! But I am treated like this. In Palestine I was a teacher. Really, I just want to go to the Netherlands. But the Frontex men told me: ‘No, we don’t like your people in Europe.’”

Physische Gewalt

In der Zelle – auf der Polizeistation direkt neben dem Camp – habe F massive Gewalt erlebt. Einer der Frontex-Beamten habe alle anderen Beamt:innen aus der Zelle geschickt. Sobald sie nur noch zu zweit gewesen seien, habe dieser ihn zuerst hart von hinten gegen die Wand gestossen. F habe sich nicht an der Wand abstützen können, da seine Hände auf dem Rücken in Handschellen festgemacht waren. Er sei hart gegen die Wand gestossen und habe sich das Knie blutig geschlagen. Dann habe der Frontex-Beamte F hinten am Kopf gefasst und diesen mehrmals gegen die Wand geschlagen. Seine Nase schmerze nun sehr stark, er vermute, dass sie gebrochen sei. F habe fünf Stunden lang aus der Nase geblutet. Nun habe er Schwierigkeiten zu atmen. Auch am linken Auge trägt F sichtliche Verletzungen davon. Das Auge ist halb geschlossen, das Lid leicht geschwollen. Er zeigt uns den Bildschirm seines Handies, das Glas ist zersplittert. Es sei in der Gewaltsituation kaputtgegangen.